Mallorca Magazin, 6. April 2017
Poesie der Präsenz
Ich bin privilegiert, ich bewege mich frei. Ich könnte auch sagen: Ich bin Europäer, also pendle ich. Meine Ateliers habe ich mir im alten Fronton in Sineu und auf einem ehemaligen Bauernhof bei Parchim eingerichtet. Das Pendeln zwischen diesen Orten macht mich reich: Mein Reichtum ist die Poesie der Präsenz.
Präsenz ist die räumliche und zeitliche Gegenwart von etwas oder von jemandem. Ihre Poesie geht jedoch über die Gegenwart hinaus. Die Poesie der Präsenz beschreibt die Magie des Moments, also die Vielfalt und Verschiedenheit unbegrenzter Möglichkeiten, die in jedem Moment enthalten sind.
Vor allem macht diese Poesie aus, dass ich immer bin, wo ich bin. Ich folge meinen eigenen Regeln und den Notwendigkeiten, die das Leben von mir verlangt. Und ich folge meiner Arbeit. Wo die Kunst es erfordert, gehe ich hin. Und bleibe so lange, wie sie es nötig ist.
Ich widerspreche denen, die dem Pendler weismachen wollen, dass er vor sich wegläuft. Ich nehme mich mit. Immer. Was mich antreibt, ist mein Begleiter, und mein Denken und Fühlen sind mein Gepäck. Indem ich pendle, stelle ich mich dem Leben auf meine Art und Weise und handle entsprechend den Ansprüchen, die ich mir erarbeitet habe.
Den Reichtum der Poesie macht dabei das Wechselspiel von Nähe und Distanz, von zwei sich ergänzenden Sichtweisen aus: Ich blicke nicht von nur innen, sondern auch von außen über den berühmten Tellerrand – um zu erkennen was auf dem Teller geschieht. In der Distanz lassen sich Ereignisse und Situationen besser betrachten, um in der Nähe dann das Richtige zu tun. Im Politischen spricht man von global denken und regional handeln.
Handeln beruht auf Rückschlüssen auf die Vergangenheit und auf Projektionen in die Zukunft. Aber Handeln findet immer im Hier und Jetzt statt, also in der Gegenwart. Und in einer Welt, die sich immer öfter ganz anders darstellt und entwickelt, als es prognostiziert wird. Die Ereignisse der Welt entsprechen selten noch unseren Erwartungen.
Der unvorhersehbaren und unüberschaubaren Welt stelle ich als Künstler den immer einfacher werdenden Pinselstrich und die minimierte Skulptur entgegen. In ihnen konzentriert sich der unwiederholbare Moment, an dem das Leben stehen zu bleiben scheint, der aber nur existiert, wenn wir ihn wahrnehmen können. In dem Augenblick, in dem wir ihm unsere Aufmerksamkeit zuwenden, kann er unser Leben verzaubern.
Diese Magie des Moments erlaubt es, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Sie ermöglicht aber auch, von anderer Stelle – in einem anderen Land mit anderer Kultur – auf das Eigene zu blicken, um so das Eigene in Frage zu stellen und ihm gleichzeitig ein Stückchen näher zu rücken. Diese Art von wechselnden Sichtweisen habe ich zum Prinzip erhoben in meiner Kunst, in meinen Projekten und auch in meinem Leben.
Pampin, 2.04.2017